13

 

Nachdem der Rote Teufel aus dem Park verschwunden war, packte Thierry meine Hand und zerrte mich förmlich zurück zum Haven.

»Wir müssen reden.« Er klang nicht sonderlich glücklich.

Wir betraten den Club, und ich sah George, Amy und Barry, die alle einen Schritt zurückwichen, als wir auf dem Weg zu Thierrys Büro an ihnen vorbeikamen. Selbst die Gäste im Club blickten aufmerksam in unsere Richtung. Butch saß an einem Tisch und hielt sich einen nassen Lappen an den Kopf.

In mir herrschte ein völliges Wirrwarr von Gefühlen, doch als sich die Bürotür hinter uns schloss, wurde ich wieder klar. Ich hob den Kopf. Thierry sah wütend aus.

»Wieso gehst du nach allem, was passiert ist, allein hinaus? Du könntest tot sein.«

»George war bei mir.«

»Entschuldige bitte, aber das beruhigt mich nicht sonderlich.« Seine Miene wurde allmählich etwas sanfter. »Sarah, wieso musst du ständig das Schicksal herausfordern?«

Ich blinzelte die Tränen weg. »Ich musste Stacy treffen. Ich hatte keine Wahl.«

»Man hat immer eine Wahl.«

»Sie hat angerufen, und ich habe sie getroffen, um mich zu entschuldigen. Sie denkt darüber nach, den Fluch aufzuheben, aber es sieht nicht so richtig gut aus.«

Er schwieg einen Augenblick. »Das tut mir sehr leid.«

»Sie hat bestätigt, dass mich der Fluch in einen Nachtwandler verwandelt hat.«

Seine Miene verfinsterte sich. »Ja, das habe ich bereits seit einiger Zeit vermutet.«

Ich war so verzweifelt, dass ich am liebsten geschrien hätte. »Wirst du mich umbringen, wenn ich nicht geheilt werde?«

»Was redest du denn da?«

»Stacy hat mir erzählt, dass es früher eine ganze Menge Nachtwandler gegeben hat und dass du den Jägern geholfen hättest, sie alle zu töten. Stimmt das?« Es klang so schrecklich, dass ich die Worte am liebsten gleich wieder zurückgenommen hätte. Wieso glaubte ich eigentlich irgendetwas, das mir diese Hexe erzählte?

»Du bist kein richtiger Nachtwandler«, erwiderte er gelassen.

»Aber ich habe die Symptome.«

»Das ist gleichgültig. Du bist derzeit mit einem Fluch belegt. Das ist alles. Aber ein Fluch kann nicht wirklich verändern, wer du eigentlich bist.«

»Willst du damit sagen, dass sie gelogen hat, was die Nachtwandler angeht?«

»Die Nachtwandler waren rücksichtslose Killer. Sie interessierten sich nur für Blut und Gewalt. Sie waren ein unglückliches Nebenprodukt der Vampirrasse, eine seltene Mutation des Vampirvirus, die zum Glück nicht mehr existiert. Es waren nicht sehr viele davon befallen. Höchstens ein paar Hundert.«

»Der Rote Teufel hat mir erzählt, dass sie Artefakte hatten, mit denen sie in der Lage waren, auch am Tag hinauszugehen.«

»Das hat dir also der Rote Teufel erzählt, ja?« Thierry hatte einen leicht amüsierten Unterton, der mir nicht sonderlich gefiel. »Dann muss es ja stimmen. Du scheinst ihm sehr zu vertrauen, wenn du dich ohne mein Wissen mit ihm im Park triffst.«

»Ich habe mich dort nicht mit ihm getroffen. Er ist einfach aufgetaucht.«

»Er ist ein Betrüger.« Er blickte finster.

»Du hast recht.«

Er hob erstaunt die Brauen. »Du stimmst mir zu? Was für ein Sinneswandel.«

Ich verschränkte die Arme. »Er ist ein Mensch. Ich habe es gemerkt, als ich nahe bei ihm stand.«

»Ein Mensch?« Er schien überrascht. »Damit habe ich allerdings nicht gerechnet. Aber ich weiß, dass er gefährlich ist. Hat er dir irgendeinen Hinweis gegeben, was er vorhat?«

»Nein.«

»Er hat dir also von einem Gegenstand erzählt, den man als Nachtwandler benutzen kann, um das Tageslicht zu ertragen?«

»Vielleicht hat er es sich ausgedacht.« Ich berührte abwesend meinen Hals.

Thierry blickte auf die Bissspuren, die seine Reißzähne hinterlassen hatten. »Es ist gefährlich für dich, allein unterwegs zu sein.«

»Ich fühle mich momentan ganz okay. Die paar Gläser, die ich vorhin getrunken habe, scheinen meinen ... meinen Durst gestillt zu haben.«

»Ich werde sehr vorsichtig und wachsam mit meinem eigenen ... Durst sein.« Er hatte die Zähne zusammengebissen. »Dir weh zu tun ist wirklich das Letzte, was ich will, Sarah.«

»Das weiß ich.«

»Du musst keine Angst haben, dass ich dich auslöschen will, nur weil du jetzt diese Symptome hast. Ich betrachte dich nicht als Nachtwandler. Ich bin nicht stolz darauf, was ich in der Vergangenheit tun musste, um die Bedrohung loszuwerden. Die Nachtwandler sind hauptsächlich dafür verantwortlich, dass Jäger, und Menschen generell, Vampire für Monster halten. Natürlich gibt es Vampire, die aufgrund ihres zerstörerischen Naturells böse sind, aber sie haben sich dafür entschieden, so zu sein. Die Nachtwandler sind jedoch durch und durch böse. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wozu sie fähig sind, Sarah. Es war schrecklich.«

»Dann hast du das nur getan, um Menschen und die anderen Vampire zu retten.«

»Ja.«

Als ich ihn umarmte, verspannte er sich. »Keine Sorge«, flüsterte ich. »Ich werde dich nicht küssen. Das scheint immer der Auslöser zu sein.«

Er lehnte sich zurück und blickte mir in die Augen. »Der Gedanke, dich nie wieder küssen zu können, ist nicht gerade erfreulich.«

Ich lehnte mich ebenfalls zurück und grinste zu ihm hoch. »Ich weiß. Ich bin eine fantastische Küsserin.«

Er lächelte traurig. »Es hat Zeiten gegeben, in denen ich mich für einen ehrenwerten Mann hielt, der Dinge tat und Entscheidungen traf, um damit anderen zu helfen, Sarah. Jetzt, nachdem so viel Zeit verstrichen ist, stelle ich fest, dass das Einzige, an dem mir wirklich etwas liegt, genau hier ist.«

»Der Club?«

Er schüttelte den Kopf. »Du. Ich mache mir Sorgen um deine Sicherheit und um dein Glück. Beides ist gerade in Gefahr, durch diesen Fluch und diesen Roter-Teufel-Nachahmer. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um dir zu helfen.«

Ich fuhr mit meinen Händen über seine warme, feste Brust. »Wenn du weiter so redest, dann küsse ich dich gleich, und das wäre nicht gut.«

»Nein.« Er starrte wie gebannt auf meine Lippen. »Das wäre es nicht.«

»Da werde ich wohl anfangen müssen, dir Schuldscheine für Küsse auszustellen.«

»Ein hervorragender Vorschlag.«

Ich schluckte. »Ich sollte dir vielleicht noch sagen, dass Veronique vorhin angerufen hat. Sie hat die Annullierungspapiere erhalten und ist deshalb fast ausgeflippt.«

Er hob eine dunkle Braue. »Veronique ist ausgeflippt? Ich glaube nicht, dass Veronique schon jemals wegen irgendetwas ausgeflippt ist.«

»Sie ist jedenfalls nicht sonderlich erbaut über dein Ansinnen und möchte auf keinen Fall die Annullierungsdokumente unterschreiben. Stattdessen will sie, dass du sie so schnell wie möglich anrufst.«

Er nickte. »Das ist alles meine Schuld.«

»Hast du dir das mit der Annullierung anders überlegt?«, fragte ich. Als ich daran dachte, schien sich mir ein Gewicht auf die Brust zu legen.

»Nein. Aber ich habe es falsch angestellt. Veronique hat eine Neigung, so zu tun, als würde ihr nichts etwas ausmachen, aber ich nehme an, dass diese Kirchendokumente sie ziemlich verwirrt haben müssen.«

Ich dachte über unsere Unterhaltung nach. »Sie hat mich als albernes, nichtssagendes Mädchen bezeichnet.«

»Das klingt schon eher nach ihr.« Er lächelte. »Aber sie irrt sich. Du bist alles andere als nichtssagend.«

Ich runzelte die Stirn. »Und was ist mit ›albern‹«?

Er lächelte stärker. »Willst du darauf wirklich eine Antwort?«

»Wohl eher nicht.« Ich biss mir auf die Unterlippe. »Weißt du, wenn es dir lieber ist, kann ich ihn dir auch zurückgeben. Das ist kein Problem.«

Ich hob die rechte Hand und zeigte ihm den Ring, den er mir geschenkt hatte, damit er wusste, wovon ich sprach.

Er warf einen kurzen Blick darauf. »Willst du ihn mir denn wiedergeben?«

»Nein«, sagte ich hastig.

»Dann sollst du ihn so lange tragen, bis du seiner überdrüssig wirst.« Sein Lächeln verschwand. »Mir wird erst jetzt klar, dass ich Veronique schon früher von meinen Absichten hätte erzählen müssen.«

»Und was sind deine Absichten?«

Er nahm meine Hand in seine und fuhr mit dem Daumen über den Verlobungsring. Dann schaute er mich mit seinen silberfarbenen Augen an. »Einen Weg zu finden, dich wieder küssen zu können. Ich habe viel zu lange darauf gewartet, dass du in mein Leben trittst, als dass ich zulassen würde, dass sich dieser Fluch zwischen uns stellt.«

Bei dem Klang seiner Stimme erschrak ich, seine Worte versprachen so viel mehr als Küsse oder sogar Sex. Es klang nach einer gemeinsamen Zukunft. Mein Herz pochte wie rasend, als er erst mit den Fingern durch meine Haare fuhr, die immer noch feucht vom Schnee waren, und dann mit den Fingern meine Lippen entlangstrich.

Im selben Moment jedoch spürte ich, wie die Dunkelheit in mir hochstieg. Meine Reißzähne schmerzten, und meine Wahrnehmung konzentrierte sich voll und ganz auf das kleine Pochen an seinem Hals. Widerstrebend entzog ich mich seiner Berührung. »Wir ziehen besser die Notbremse. Wir haben gerade die Gefahrenzone betreten.«

Er nickte, ließ mich los, verschränkte die Hände auf dem Rücken und wanderte rastlos im Büro auf und ab. »Nun, da ist die Sache mit dem Roten Teufel. Ich glaube, es wäre eine gute Idee, ihn aus seinem Versteck zu locken und ihn zu fragen, wer er ist und was er vorhat.«

»Hast du jemals überlegt, dass er einfach nur versucht zu helfen?«

»Helfen? Das bezweifle ich.«

»Warum? Er hat mir das Leben gerettet. Er hat außerdem versucht, mir einen guten Rat wegen der magischen Artefakte der Nachtwandler zu geben. Er hat gesagt, dass ich erst kürzlich mit einem in Berührung gekommen bin. Ich zermartere mir das Gehirn, um herauszufinden, ob ich in letzter Zeit irgendein unauffälliges Schmuckstück gesehen habe...«

Ich blinzelte.

Moment mal!

Nein! Das konnte doch unmöglich ... !

Vor etwa drei Wochen war mir tatsächlich ein merkwürdiges Schmuckstück zwischen die Finger gekommen. Eine Goldkette. Eine ziemlich hässliche Goldkette.

Die Kurzversion lautete, ich hätte diesen Schrott bekommen, damit ich ihn vor den Bösen versteckte. Die Bösen waren zu diesem Zeitpunkt meine Leibwächter gewesen, wie sich herausstellte. Als mein Werwolf-Haushund mit der Kette in Berührung gekommen war, hatte sie ihn wieder in einen Werwolf mit menschlicher Gestalt verwandelt. Andererseits, vielleicht war das auch nur reiner Zufall gewesen.

Ach, Barkley. Ich vermisste diesen Hundekuchen fressenden Werwolf.

Ich hatte schon immer gewusst, dass es mit dieser Kette etwas Merkwürdiges auf sich hatte. War das möglicherweise genau das, wovon der Rote Teufel gesprochen hatte?

Und wenn, woher zum Teufel wusste der Teufel, dass ich sie besaß? Niemand wusste das. Ich hatte es noch nicht einmal Thierry erzählt.

»Was ist los?«, fragte Thierry.

»Vielleicht nichts, aber es gibt nur einen Weg, das herauszufinden.« Ich war mit einem Schritt bei der Tür, doch bevor ich sie öffnete, blickte ich über meine Schulter zurück. »Darf ich kurz verschwinden, mein Gebieter?«

Er hob eine Braue. »Wenn du versprichst, nicht wegzulaufen und dich in Gefahr zu begeben.«

»Nicht mal im Traum.«

Er trat zu mir, als ich die Tür öffnete. »Bleib in der Nähe.«

»Aber nicht zu nah.«

»Nein, nicht zu nah.« Unsere Blicke trafen sich. »Das ist viel zu gefährlich.«

Verdammt, ich war so scharf auf ihn. Klar, in mancherlei Hinsicht war Thierry von gestern, manchmal schlecht gelaunt und schnell genervt, und er schleppte eine Menge Altlasten mit sich herum, aber er war auch großzügig, fürsorglich, beschützend und so unglaublich sexy. Außerdem wollte er mit mir zusammen sein, obwohl ich völlig durcheinander war und die unglückliche Angewohnheit hatte, mich kopfüber in Gefahr zu begeben.

Ich war noch nie zuvor derart in jemanden verliebt gewesen. Es war ein bisschen unheimlich.

Nein, eigentlich war es sogar ziemlich unheimlich.

Ich musste einen Weg finden, diesen Fluch loszuwerden. Und das würde ich. Ich würde nicht zulassen, dass er mein Zusammensein mit Thierry verhinderte. Nicht nach allem, was wir schon durchgemacht hatten. Und wenn die Hexe nicht zu mir kam, würde ich sie eben aufspüren und zu ihr gehen.

Aber das kam erst nach meinem Plan B.

Ich hatte Amy die fragliche Halskette zum Geburtstag geschenkt. Aus zwei Gründen. Erstens war mir klar, dass sie das Ding furchtbar finden und ganz unten in ihrem Schmuckkasten verwahren würde, wo sie niemals mehr ans Tageslicht käme. Zweitens hatte ich nicht rechtzeitig daran gedacht, ihr ein Geburtstagsgeschenk zu besorgen.

Ich kann mich genau an ihre Reaktion erinnern, als sie die Kette aus dem Seidenpapier der Verpackung gezogen hatte.

Bei dem Glanz des Goldes hatte sie große Augen bekommen, die vor Enttäuschung ganz schmal geworden waren, als sie gesehen hatte, dass die Form nicht gerade schön war. »Was zum...?« Sie hatte sich hastig unterbrochen, überrascht gezwinkert und mich dann angesehen. »Ich wollte sagen, was für ein tolles, tolles ... Geschenk! Danke, Sarah! Sie ist einfach ... wundervoll!«

Und wie ich es vorhergesehen hatte, hatte sie die Kette nicht ein einziges Mal getragen. Perfekt. Sie lag warm und trocken in ihrem Schmuckkasten, dessen war ich mir sicher. Ich wusste nur nicht, wie der Rote Teufel davon erfahren hatte, was mir allerdings auch ziemlich gleichgültig war. Wenn sie bewirkte, was er gesagt hatte, wollte ich diesen Plunder zurückhaben. Ich würde sie voller Stolz tragen, wenn ich wieder tagsüber hinausging. Der Fluch hatte zwar bisher erst einen Tag gewirkt, aber ich hungerte nach Sonnenschein, und mein Teint sah wahrscheinlich noch teigiger aus als sonst. Ich sollte mir eventuell sogar ein Bräunungsspray besorgen, um zu feiern, dass alles mit mir wieder in Ordnung war, wenn das hier überstanden war.

»Amy!« Ich ging direkt auf sie zu. Sie musterte mich vorsichtig.

»Ja?«

Ich packte ihren Arm und merkte, wie sie zusammenzuckte, als ich sie an die Seite und außer Hörweite der anderen zog. »Ich muss dich etwas fragen.«

»Nein, ich möchte nicht von dir gebissen werden.«

Ich blinzelte. »Das wollte ich dich nicht fragen.«

Sie verschränkte schützend die Arme. »Ich meine, ich weiß, dass wir Freundinnen sind. Beste Freundinnen. Und ich weiß, dass du wahrscheinlich auf meinen Hals schielst und überlegst, wie köstlich er ist. Aber das heißt nicht, dass ich mich auf ein Experiment einlassen möchte. Ich will nichts damit zu tun haben, Sarah. Ich habe kein gutes Gefühl, wenn unsere Freundschaft sich in diese Richtung entwickelt.«

»Wovon zum Teufel sprichst du?«

Sie sah verwirrt aus. »Barry hat mir erklärt, du wärst böse, und ich sollte mich so weit wie möglich von dir fernhalten, doch das will ich nicht. Ich möchte keine Angst vor dir haben, aber was er mir über Nachtwandler erzählt hat ...« Sie verzog das Gesicht. »Sie sind wie sexbesessene Moskitos, denen es egal ist, wen sie verführen, um an ihr Ziel zu kommen.«

Okay, jeder hat so sein eigenes Bild, um Dinge zu beschreiben.

»Ich bin kein sexbesessener Moskito. Und selbst wenn ich es wäre, bist du nicht mein Typ. Glaub mir.«

Sie schien sich etwas zu entspannen. »Ehrlich?«

»Ehrlich.«

Dann runzelte sie die Stirn. »Wieso nicht? Wegen der rosa Haare? Ich habe nämlich einen Termin gemacht, um sie mir wieder blondieren zu lassen.«

Ich räusperte mich. »Hör zu, das klingt jetzt wahrscheinlich merkwürdig, aber erinnerst du dich noch an das Geburtstagsgeschenk, das ich dir gegeben habe? Diese Goldkette?«

»Natürlich erinnere ich mich daran.« Sie schüttelte sich fast unmerklich.

»Ich kann dir das jetzt nicht alles erklären, aber ich muss sie eine Weile zurückhaben. Vielleicht können wir schnell zu euch gehen und sie holen.«

»Du brauchst sie?« Sie wirkte verwirrt. »Aber du hast sie mir doch geschenkt.«

Ich blickte über meine Schulter und bemerkte Butch, der mich immer noch finster ansah. Aus der Musikanlage tönte Sinatras The Lady is a Tramp.

»Ich weiß, es klingt merkwürdig. Bitte tu mir den Gefallen. Ich weiß, dass du sie nie trägst, also kann ich mir nicht vorstellen, dass es dir etwas ausmacht, sie mir eine Weile zu borgen. Und ich würde dich nicht darum bitten, wenn es nicht absolut lebenswichtig wäre.«

»Absolut lebenswichtig?«, wiederholte sie schwach.

Ich runzelte die Stirn. »Was ist das Problem?«

»Kann es denn gar keine andere Goldkette sein? Ich habe einige, die ich dir leihen kann. Die meisten sind etwas tragbarer als diese.« Sie zögerte und fügte dann hinzu: »Was nicht heißen soll, dass ich deine gute Absicht nicht zu schätzen gewusst hätte. Versteh mich nicht falsch!«

»Ich weiß, dass du sie furchtbar findest. Das ist völlig okay. Und ich verspreche, sie durch ein viel besseres verspätetes Geburtstagsgeschenk zu ersetzen. Aber ich brauche genau diese Kette.«

»Ach du liebe Güte.«

»Ach du liebe Güte was?«

Sie rang die Hände und sah mich mit einem Ausdruck von ... Schuld an? »Genaugenommen habe ich sie nicht mehr.«

»Wie bitte?«

Sie wickelte sich ihre kurzen rosa Haare um den Finger. »Es tut mir so leid. Ich weiß, das man so etwas nicht tut, aber ... mir war klar, dass ich sie niemals tragen würde. Ich habe sie in meinen Schmuckkasten getan und jedes Mal, wenn ich ihn geöffnet habe, starrte mich die Kette vorwurfsvoll an.«

»Eine Kette kann nicht starren.«

»Ich hatte jedenfalls das Gefühl, als würde sie das tun. Ich hätte niemals geglaubt, dass du sie zurückhaben willst, und wenn du mich in ein paar Monaten oder Jahren gefragt hättest, wieso ich sie nie trage, hätte ich gesagt, dass ich sie verloren habe.«

»Was hast du mit der Kette gemacht, Amy?«, fragte ich energisch.

»Nun, eines Tages habe ich zu Hause Staub gesaugt. Der Fernseher war im anderen Zimmer, und ich habe einen Werbespot gehört. Es war dieser Kerl, der sagte ...« Sie hielt inne, und ihre Unterlippe bebte.

»Der was sagte?«, drängte ich.

»Der sagte, dass er einem Schmuck, den man nicht mehr möchte, gegen Bares abkauft.« Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht. »Ach, ich schäme mich ja so.«

»Du hast die Kette verkauft?«, stieß ich hervor. Ich traute meinen Ohren nicht. »Du hast sie verkauft? Es war ein Geschenk!«

»Ich hätte sie doch nie getragen.« Sie berührte ihr Ohr. »Und von dem Geld, das der Kerl mir gegeben hat, konnte ich mir diese Ohrringe kaufen. Es war erst vorgestern.«

Ich merkte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich. Einerseits war ich wütend, dass sie mein Geschenk verkauft hatte, auch wenn es zugegebenermaßen gar kein richtiges Geschenk gewesen war. Auf der anderen Seite ... waren das wirklich entzückende Ohrringe.

Sie hatte es nicht gewusst. Zum Teufel, ich hatte ja selbst nicht gewusst, dass ich diese Kette noch einmal brauchen würde. Ich wusste bis jetzt ja noch nicht einmal genau, ob es der fragliche Gegenstand war, der mir helfen konnte.

Ich konnte mich nur auf meinen Bauch verlassen. Und mein Bauch sagte mir, dass ich diese Goldkette brauchte - und zwar so schnell wie möglich.

Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Wo hast du sie verkauft?«

»Es ist ein Laden, der heißt Sie kommen mit Gold, Sie gehen mit Geld.«

»Klingt klassisch.«

»Der Laden ist wirklich nicht schlecht, nur ein bisschen ... chaotisch.«

»Wie viel hast du dafür bekommen?«

»Fünfzig Dollar.«

Ich nickte. Meine Chance auf ein normales Leben war für fünfzig Dollar an einen heruntergekommenen Pfandleiher verschachert worden. Na toll.

»Ist der Besitzer ein Vampir oder ein Mensch?«, wollte ich wissen.

Sie dachte darüber nach. »Ich bin ziemlich sicher, dass der Kerl ein Mensch ist.«

Thierry kam zu uns, und ich erklärte ihm, was los war. Er schüttelte den Kopf. »Ich kenne den Ladenbesitzer, seine Frau ist Stammkundin im Haven. Aber jetzt ist es zu spät. Sie haben bestimmt schon geschlossen. Es ist beinahe Mitternacht.«

»Nun, so gern ich auch warten würde, bis die Geschäfte morgen früh öffnen, ziehe ich es doch vor, nicht von der Sonne gegrillt zu werden, wenn ich den Bürgersteig hinunterschlendere.«

»Dann werde ich mich morgen früh selbst dieses Problems annehmen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir leid. Ich will ja nicht ständig widersprechen, aber ich brauche diese Kette jetzt. Ich kann nicht warten.«

Thierry betrachtete mich einen Moment, dann hefteten sich seine Augen auf Amy. »Bist du sicher, dass es der richtige Laden ist?«

Sie nickte und klimperte mit den Wimpern. »Ja«, hauchte sie hingerissen.

Er musterte sie noch eine Weile mit seiner undurchdringlichen Miene. »George kommt mit. Er hat ein gewisses Talent, das uns von Nutzen sein könnte, wenn ich den Besitzer nicht persönlich erreiche.«

Ich hob fragend die Brauen. »Ich wusste gar nicht, dass eine Neigung zu engen Lederhosen in einer solchen Situation von Vorteil sein kann.«

»Das meine ich nicht. George ist darüber hinaus sehr geschickt im Öffnen von Schlössern.«

Das war mal eine Neuigkeit. »Man lernt doch nie aus. Ich möchte gerne wissen, woher er das kann.«

Thierry grinste mich leicht amüsiert an. »Wir alle haben eine Vergangenheit und verborgene Talente, Sarah. Ich bin sicher, du auch.«

»Ich kann den Stängel einer Kirsche mit der Zunge zu einem Knoten binden«, sagte Amy und ließ ihren Blick anzüglich über Thierrys Körper gleiten. »Zählt das auch?«

Ich versetzte ihr einen heftigen Klaps auf die Schulter. »Nicht in diesem Fall.«

Sie rieb sich schmollend den Arm. »Aua.«

Nachdem Thierry einen kurzen, mysteriösen Anruf getätigt hatte und ohne jemandem zu sagen, wo wir hinfuhren, stiegen wir vier in Thierrys Wagen, der gerade erst von zwei seiner Angestellten von dem verlängerten Aufenthalt auf dem Motor-Inn-Parkplatz von Abottsville zurückgekehrt war. Dann brachen wir zu einer mitternächtlichen Pfandleihtour auf, um meinen Plan B zu retten.

Ein Sarg für zwei
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